Geschrieben von Judith Schallenberg-Kappius und am 12.08.2021 auf BusinessInsider veröffentlicht
Fehler sind im Arbeitsalltag vieler Menschen bis heute ein großes Tabu. In vielen deutschen Unternehmen gelten sie als Makel.
Die Angst vor Nachteilen im Job und Gesichtsverlust bringt laut einer Studie viele Beschäftigte in Deutschland dazu, Fehler im Job zu vertuschen. Die Fehlerkultur ist also daher mäßig.
Ein offener Umgang mit ihnen fördert Innovation. Fehler möglichst rasch zu offenbaren, bringt Mitarbeitenden außerdem den Respekt ihrer Kolleginnen und Kollegen ein, sagt eine Expertin. Denn auch andere lernen mit.
Am 15. August ist in den Vereinigten Staaten der National Failures Day. Das Land hat viele unkonventionelle Feiertage, die es in keinem anderen Land gibt – der Tag der Fehler aber würde viele Gründe bieten, ihn auch global zu feiern. Fehler und die Angst vor ihnen begleiten sehr viele Menschen von der Kindheit bis ins Alter – ein Thema, das keine Ländergrenzen kennt.
Viele Unternehmen etwa in den USA sind für eine gute Fehlerkultur bekannt. Sie gelten dort als Begründer des Fortschritts – hier als Makel. 2018 befragte das Beratungsunternehmen EY 800 Beschäftigte und mehr als 200 Führungskräfte zur Fehlerkultur in ihren Unternehmen. Es gab viel Luft nach oben: Weniger als die Hälfte (42 Prozent) der Beschäftigten sagten, es gebe in ihrem Unternehmen eine offene Diskussionskultur zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Diese sahen es etwas anders: 66 Prozent behaupteten, es gebe sie.
Immerhin 18 Prozent der Beschäftigten und sieben Prozent der Führungskräfte sagten, Fehler würden in ihren Unternehmen nicht angesprochen. 57 Prozent der Angestellten waren der Meinung, dass Fehler eher vertuscht werden, weil Mitarbeitende fürchten, das Überbringer schlechter Nachrichten könnte ihnen Nachteile bringen. Die Hauptgründe sind die Sorge vor Nachteilen für die eigene Karriere oder Angst, den Job zu verlieren. 54 Prozent der Führungskräfte trieb die Angst vor dem Gesichtsverlust zu ihrem Umgang mit Fehlern.
„Die Angst vor Fehlern lähmt viele Manager regelrecht“
Woran liegt es, dass Fehler im Job in der Tabuzone bleiben? Ob in Form der Angst vor einem Vortrag, der Präsentation vor anderen oder die Abgabe einer Arbeit: Viele Menschen fürchten schon die Vorstellung, es könnte etwas schieflaufen. Kommt es tatsächlich zu einem Fehler, sei es ein Blackout, eine falsche Angabe, ein Irrtum, eine Fehlentscheidung, wird daraus augenblicklich mehr: ein Versagen, das vernichtende Urteil anderer, ein Verlust an Zeit und Geld.
„Die Angst vor Fehlern blockiert gerade Managerinnen und Manager oft stark“, sagt Sabine Votteler, die viele Jahre selbst Führungskraft im Marketing war und heute als Businesscoach Führungskräfte berät. „Viele lähmt sie regelrecht und lässt sie auf der Stelle treten“, so Votteler. Die Anlässe für die Angst sind höchst unterschiedlich. Angestellte mit oder ohne leitende Position fürchten etwa eine falsche Entscheidung – ob bei einer Stellenbesetzung oder bei einer Budgetfrage. „Bei manchen meiner Kunden, die sich gerade selbstständig gemacht haben, ist es auch die finanzielle Unsicherheit“, so die Beraterin. „Was biete ich meinen Kunden? Kann ich damit ausreichend verdienen? Bei anderen ist es beispielsweise die Furcht davor, als Selbstständiger sichtbar zu werden.“ Lauter Bereiche, die besonders anfällig sind für Fehler.
Auch sie selbst fühlte sich nach einem Fehlverhalten einmal ganz klein, so Votteler. „Es war vor Jahren zu Zeiten einer Fußball- Weltmeisterschaft“, schildert sie die Situation. „Die Führungsriege meines damaligen Arbeitgebers erwog die Möglichkeit, dass ein bestimmtes Spiel am Nachmittag in der Firma geschaut werden durfte, entschied sich letztlich aber dagegen. Ich arbeitete mit meinem Team gerade woanders. Es merkt keiner, wenn ich es anders mache, dachte ich, und erlaubte meinem Team, das Spiel zu sehen.“ Dabei blieb es nicht. „Es kam heraus – und ich hatte damit ganz offensichtlich den CEO hintergangen. Ich fühlte mich schrecklich.“ Votteler ging in die Offensive. „Ich rief ihn direkt an und entschuldigte mich aus vollem Herzen. Er war wirklich sauer – doch wir konnten uns danach weiter auf Augenhöhe begegnen. Und das auf Jahre.“
Zeichen einer schwachen Fehlerkultur: Die „Suche nach ‚Schuldigen’“
Ob es um eine emotionale oder eine sachliche Ebene geht: Das mit einem Fehler verbundene Handeln ist entscheidend. Je mehr Zeit ins Land geht, bis eine Reaktion erfolgt, desto folgenreicher ist ein Fehler. „Vergleichsweise harmlos ist es, wenn eine Marketingleitung auf die falsche Marketingagentur setzt, das Budget dafür veranschlagt und sich kurz darauf zeigt, dass die Zusammenarbeit hakt“, so Votteler. Doch ob handwerkliche Mängel, mangelndes Wissen oder eine persönliche Befindlichkeit: „Einen eigenen Fehler sollte niemand wegnicken und die Gründe in einer anderen Person oder einem äußeren Grund suchen“, so Votteler. „Ehrlichkeit zählt.“
Der Weg dorthin ist allerdings oft steinig. „Wir lernen schon als Kinder, dass Fehler ein Makel sind – und es setzt sich fort bis in den Job“, so Votteler. Aus dem einst unbekümmerten Verhältnis zu Abweichungen von der Norm wird der Drang nach Fehlerlosigkeit. Stillschweigend gibt es irgendwann nur noch ein Ziel: Fehler möglichst schnell unsichtbar zu machen.
Wer Fehler nicht wahrnimmt, kann sie nicht normal finden. Doch nur dann verlieren sie ihren Schrecken und können zu einem Teil des Alltags und des menschlichen Handelns werden.
Fehler seien Erfolge, Stufen zum Ziel. „Wenn ich nie etwas Neues wage, ergibt sich keine Innovation“, erklärt Votteler. „Wenn ich aber Neues wage, ist es immer ein Versuch. Und bei Versuchen ist es normal, Fehler zu machen. Wir spüren sie erst auf diese Weise.“ Das ist der Wert der Fehler: Zu wissen, wie sich Fehlerhaftigkeit anfühlt, lässt uns aus ihnen lernen. „Eigentlich sollten wir Fehler wertfrei betrachten“, rät Votteler. „Doch stattdessen gewöhnt das System viele daran, dass Fehler einen Mangel darstellen. Die Folge ist eine Abwertung und ein geringer Selbstwert.“
Dabei sei Fehlerkultur nicht gleich Fehlerkultur, sagt Robert Lindner, Senior Regional Director Deutschland beim Softwareunternehmen Red Hat. „Unternehmen mit einer schwach ausgeprägten Fehlerkultur adressieren Pannen nicht konstruktiv, sondern suchen nach ‚Schuldigen‘. Das Wort ‚Fehler‘ ist damit sofort negativ behaftet“, sagt er.
Lindners Arbeitgeber Red Hat lebt eine „offene“ Fehlerkultur mit offenem, transparentem Austausch aller Mitarbeitenden. „Ganz vereinfacht heißt das, dass unterschiedliche Meinungen und das Einbringen von Ideen immer willkommen sind, egal, von wem sie kommen“, sagt er. Die Bedingungen dafür schaffe die Führungsebene. „Ihre Aufgabe ist es, eine Umgebung des Respekts, der Zugehörigkeit und der gegenseitigen Unterstützung zu schaffen, in der Mitarbeitende sich trauen, sich einzubringen und eben auch Fehler zu machen – und daraus zu lernen.“
Für die meisten Menschen jedoch geht bei einem Fauxpas für einen Moment die Welt unter. Anderen wiederum nehmen den Moment hin – und gehen weiter. Als die Sopranistin Christiane Karg einmal während eines Auftritts hinfiel und beide Schuhe verlor, bewahrte sie die Fassung. Sie zog ihre Schuhe wieder an und sang danach ihre Arie – „so gut wie ich die noch nie gesungen habe.“ Das erzählte sie dem „Bayerischen Rundfunk“.
Wie ihr mit Fehlern im Beruf gut umgeht – und profitiert
Seid offen – vom ersten Moment an
„Wenn ihr einen Fehler bemerkt, widersteht dem Versuch, ihn zu verheimlichen und einfach zur Tagesordnung überzugehen, als sei nichts gewesen“, rät Sabine Votteler. Sie selbst sei immer gut damit gefahren, Fehler sofort offen zu kommunizieren. „Das kann bedeuten, sehr deutlich zu werden, zum Beispiel so: ‚Ich habe einen Fehler gemacht. Es ist richtig blöd gelaufen, jetzt müssen wir retten, was zu retten ist.’“ Durch schnelles Handeln lassen sich mögliche Folgen wie noch schwerwiegendere Fehlerketten vermeiden – in technischen Branchen kann das überlebenswichtig sein.
Fehler zuzugeben, mache nahbar, authentisch und sympathisch, so die Beraterin. „Es zeugt von Self-Leadership, dazu zu stehen. Das hilft auch anderen.“ Manager Lindner begrüßte es im April, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich die Verantwortung übernahm, als der bereits geplante Shutdown über Ostern wieder gekippt wurde.
Vermeidet endlose Selbstvorwürfe, schaut stattdessen nach vorn
„Es ist nicht konstruktiv, sich lange und ausufernd in Selbstvorwürfen und Reue zu ergehen“, sagt Beraterin Votteler. „Fragt euch lieber zeitnah: Wie ist es passiert? Was nehme ich daraus mit, was kann ich lernen?“ Das Learning sei die Grundlage dafür, dass der Fehler nicht wieder passiere. „Sobald die Lösung für den Fehler ersichtlich wird und man erkennt, was sich für die Zukunft verändern lässt, stellt sich auch ein Gefühl der Erleichterung ein.“
Aus Fehlern könnten wir sehr direkt lernen. „Das macht sie so wertvoll. Deshalb ist es wichtig, etwas zu tun und das Verhalten darauf abzustimmen, anstatt zu verharren“, so die Coachin.
Bleibt auch als Führungskräfte ehrlich, wenn ihr etwas falsch macht
Während Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern Fehler oft noch verziehen würden, verschwinde diese Toleranz in der Regel mit fortschreitender Karriere und steigenden Erwartungen an sie, sagt Sabine Votteler. „Viele vergessen dann, dass sie irgendwann mal Fehler gemacht haben, und können damit gar nicht mehr umgehen, wenn sie ihnen zustoßen“, sagt die Coachin. „Sie haben enorme Ängste und blockieren sich, nur um Fehler zu vermeiden.“
Die Realität sei aber häufig eine ganz andere. „Ich habe schon viele Manager beraten, die erlebten, wie positiv ihr Team auf einen ehrlich offenbarten Fehltritt reagiert hat“, so Votteler. „Die Mitarbeiter sagten: ‚Wir sind doch ein Team, wir stehen hinter dir.‘ In einer guten Unternehmenskultur finden Fehler immer einen Platz, auch jenseits der agilen Startup-Kultur.“ Oft sei so etwas eine besonders gute Basis für die eigene Positionierung. „Wer gelernt hat, offen über seine Erfahrung mit Fehlern zu sprechen, kann anderen das eigene Wissen vermitteln – in dem Wissen, dass sie diese Fehler, die man selbst gemacht hat, bei sich vermeiden können.“
So kann ein gelebter Fehler sogar zum Businessvorteil werden. Das erlebte ein Bekannter der Beraterin. Er nutzte im Job eine technische Plattform, die ihn wegen eines fehlenden Tools viele zusätzliche Stunden Zeit und viel Kritik von der Geschäftsleitung kostete. Er erfand das, was fehlte, kurzerhand selbst. Heute ist er selbstständig. Die Innovation, geboren aus einem Fehler, bringt ihm bares Geld.