Der Artikel wurde von Claudia Obmann für das Handelsblatt geschrieben und dort am 30.10.21 veröffentlicht.
Jahrzehntelang war Peter Kallen* Top-Manager im Konzern. Doch als sich der 57-Jährige als Berater selbstständig machte, kam er sich vor wie ein Lehrling im ersten Jahr. „Ich wusste damals weder, wie man Beratungsaufträge gewinnt, noch wie ich eine steuerlich korrekte Rechnung stellen sollte.“
Früher Herr über hunderte Mitarbeiter, dann plötzlich solo: Die Folgen, sich selbstständig zu machen, unterschätzen gerade Führungskräfte, beobachtet Gründungscoach Sabine Votteler. Sie berät Gründer, die aus einem langjährigen Angestelltenverhältnis heraus Chef in eigener Sache werden wollen.
Auch Gründungscoach Mona Wiezoreck weiß, dass die Beratung oft die „einfachste und günstigste Option“ ist, um sich als erfahrener Experte beruflich auf eigene Beine zu stellen. Doch oft mangele es an „Disziplin, solider Planung und gutem Zeitmanagement“, um strukturiert ein erfolgreiches Business aufzubauen.
Votteler und Wiezoreck nennen sieben Kardinalfehler, die Ex-Führungskräfte vermeiden sollten, wenn sie sich als Berater selbstständig machen:
1. Keine klare Positionierung
Wer die Zeit damit verplempert, sich erstmal ein schickes Büro einzurichten und nicht am eigenen Alleinstellungsmerkmal zu arbeiten, hat als Berater schon verloren. Um die eigene Nische zu finden, rät Expertin Votteler zu drei Fragen:
- Was kann ich besonders gut?
- Was mache ich am liebsten?
- Und was davon löst ein Kundenproblem?
„Die Schnittmenge der Antworten ist das, was Ihren Mehrwert ausmacht“, sagt Votteler. „Nicht für jeden, aber für eine sehr spezifische Zielgruppe, die genau zu Ihnen passt.“
Expertin Wiezoreck warnt vor vieldeutigen Sammel-Begriffen wie „Coaching“. Ihr Tipp: „Formulieren Sie Ihr Angebot lieber so, dass auch ein Kind versteht, was Sie tun.“ Das bedeutet: Fremdwörter, Fachbegriffe und Floskeln streichen. Stattdessen: den Kundennutzen herausstellen. Beispiel: Statt „Ich bin zertifizierter Ernährungscoach“ sagen Sie lieber „Ich unterstütze Sie beim Abnehmen“. Schließlich kaufen Kunden nicht die Diät, sondern das Sixpack für den Strandurlaub.
2. Fehlkalkulation beim Stundensatz
Coach Wiezoreck hat schon mehr als 1000 Existenzgründer in die Selbstständigkeit begleitet. Was ihr immer wieder auffällt, sind die schlechten Finanz- und Businesspläne. „Nur einen Stundensatz zu kalkulieren, reicht nicht, um zu sehen, ob sich das Gründungsvorhaben überhaupt rechnet“, sagt sie.
Die Preisgestaltung müsse rentabel sein – „auch noch nach Abzug von Steuern und Ausgaben wie Krankenversicherung und Rücklagen für die Rente“, so Wiezoreck. Schließlich ist klar, dass Berater nicht nur die Stunden arbeiten, die sie unmittelbar ihren Kunden in Rechnung stellen.
Expertin Votteler rät: Zu Beginn bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit für Backoffice-Tätigkeiten einzuplanen – von der Angebotserstellung über Kundengewinnung und Marketing bis zur Steuererklärung. Später sinkt der Anteil. Ihr Tipp: „Kalkulieren Sie Ihre Preise nicht nur nach der von Ihnen eingesetzten Zeit, sondern auf der Basis des Wertes, den das Ergebnis für die Kunden hat.“
3. Vermarktung vernachlässigen
„Die Kunden kommen schon“ oder „Ich kenne ja so viele Leute“ – das sind zwei Sätze, die Neu-Berater tunlichst vermeiden sollten. „Viele Gründer machen sich zu wenige Gedanken darüber, woher ihre Kunden in ausreichender Zahl kommen und wie man sie optimal anspricht“, bemängelt Expertin Wiezoreck.
Dort sind professionelles Foto und ein Positionierungssatz im Profil ein absolutes Muss. „Um das Vertrauen potenzieller Kunden zu gewinnen, geben Sie Kostproben Ihrer Expertise“, rät Expertin Votteler. Etwa über kurze eigene Artikel oder Videoclips. Das Engagement lohnt sich spätestens dann, wenn aus Social-Media-Kontakten sogenannte Leads werden. Das sind diejenigen neuen Kontaktpersonen, die sich auf Ihrer Homepage mit ihrer Mail-Adresse registrieren und potenzielle Kunden sind.
Und nicht frustrieren lassen: Nur in etwa drei Prozent der Fälle geht es unmittelbar um Ihre Dienstleistung, 97 Prozent der angebahnten Kontakte dagegen gilt es einfach nur zu halten, damit sie später vielleicht zu Kunden werden, sagt Gründungsexpertin Votteler.
4. Zeitaufwand unterschätzen
Wer sich selbstständig macht, weil er weniger als bislang arbeiten möchte, sieht sich schnell enttäuscht. Gerade zu Beginn ist vielmehr verstärkter Einsatz gefordert. Schon die persönliche Positionierung ist zeitintensiv.
Votteler hält es für unrealistisch, für die Bestandsaufnahme der Stärken und Erfolge, für das Feedback von Freunden, aber auch von früheren Vorgesetzten und Kooperationspartnern, plus Markt- und Kundenanalyse weniger als ein Vierteljahr einzuplanen. „Es ist ein Prozess, in dem es manchmal vor- und zurückgeht.“ Diese Bewegung sei ganz normal.
Läuft das Business schließlich an, haben Berater mit den ersten Kundenaufträgen alle Hände voll zu tun, um Prozesse und Abläufe zu etablieren und schließlich zu verbessern und zu standardisieren.
5. Zu wenig Rücklagen
Wer sofort aufs Ganze geht anstatt aus der Festanstellung heraus zu gründen, sollte nicht zu knapp bei Kasse sein. „Das stresst unnötig“, sagt Expertin Votteler. Als ausreichende Reserve betrachtet die Expertin „Finanzmittel, die den Bedarf für etwa ein Jahr decken.“
6. Schlechtes Timing
Frühere Festangestellte neigen zu übertriebener Sorge und Perfektion bei der eigenen Existenzgründung. Besonders gefürchtet sei der Imageverlust, beobachtet Votteler. Deshalb dauere es häufig zu lang, bis sie mit ihrer Idee an den Start gehen. Dabei brauchen gerade Berater nicht viel, um loszulegen.
Ein Notebook mit Internet-Anschluss und ein Handy reichen schon, um nach der Positionierung mit dem Marketing loszulegen. Das größte Kapital des Beraters ist sein Know-how – und das trägt er ja ohnehin immer mit sich. Danach empfiehlt Votteler: „Schnellstens ran an den Markt – um möglichst rasch motivierendes Kundenfeedback zu bekommen.“
7. Selbstüberschätzung
„Marketing – das hab ich studiert; Beratung mach ich doch mit links“: Gerade ehemalige Führungskräfte neigen zu der Annahme, vieles – wenn nicht alles – selbst am besten zu können. „Ein großer Irrtum“, wie Votteler weiß. Die Berater-Tätigkeit sei etwas ganz anderes als im Management eines Unternehmens zu arbeiten. Manch einer merke den Unterschied erst beim Griff zum Telefonhörer. Dann nämlich, wenn man „sich überwinden muss, alte Kontakte in der neuen Rolle anzurufen – aus Angst abgewimmelt zu werden.“
Um nicht in die Selbstüberschätzungsfalle zu tappen, rät Votteler zu zwei Dingen. Erstens: „Akzeptieren Sie, dass Sie trotz Ihrer großen fachlichen Expertise bei Null anfangen.“ Und Zweitens: „Suchen Sie sich einen Sparringspartner, der ihnen dabei hilft, sich zu erden, aber auch sich erfolgreich im neuen beruflichen Umfeld zu verorten.“
Hat man das Ego im Griff, steht nichts mehr im Wege, um durchzustarten. Votteler: „Es gibt kaum etwas erfüllenderes als persönliche Erfahrung und Know-how, neu verpackt durch die berufliche Selbstständigkeit, anderen zur Verfügung zu stellen, um sie zu unterstützen.“