Als Kind habe ich die Bühne geliebt. Schon im Kindergartenalter gab es nichts Schöneres für mich, als etwas „vorzuführen“. Egal, ob Zirkusshow oder Modenschau, ich fand es toll, mich zu präsentieren. In der Schule dann habe ich das Theaterspielen entdeckt. Nicht nur das Einstudieren, das Immer-besser-werden bis zur Perfektion machte mir großen Spaß. Vor allem die Aufführung als Krönung und Belohnung, die Anerkennung durch das Publikum, das war großartig.
Das schöne Medium „Bühne“ missbraucht
Auf dem Weg zum Erwachsenen dann erfuhr ich irgendwann, dass es nicht zwingendermaßen Anerkennung gab, wenn man sich vor anderen präsentierte. Aus der unbedarften, authentischen Selbstdarstellung wurde eine Prüfungssituation. Auf der Bühne zu stehen, bedeutete nicht immer, andere zu erfreuen sondern viel häufiger, von anderen bewertet zu werden. Und aus der spielerischen Freude wurde immer häufiger belastende Angst. Je weniger das Thema meinen eigenen Neigungen entsprach, desto größer war sie.
Ich war eine gute Schülerin und Lernen fiel mir grundsätzlich leicht. Dadurch waren derartige Abfragesituationen, Referate vor der Gruppe und ähnliches für mich wenn auch kein Spaß, so doch durchaus erträglich. Ich lernte schnell und hatte mein Thema meistens im Griff. Und doch hatte die Bühne bzw. vor einer Gruppe zu präsentieren fortan einen negativen Beigeschmack.
Einfach du: Auf der Bühne im Flow
Im Job wiederholte sich dieses bekannte Muster, ohne dass ich mir dessen bewusst war. In den ersten Jahren im Beruf noch völlig unbedarft, durfte ich direkt zeigen, was ich konnte und erfuhr viel Anerkennung. Ich hatte das große Glück, sehr schnell Verantwortung zu bekommen und genau meine Stärken einsetzen zu können. Ich war einfach ich und das war genau gut so. Ich war im Flow. Mühelos gelangen mir die tollsten Projekte, ich war so voller Begeisterung, dass ich einfach auf die „Bühne“ musste – vor die Kollegen oder den Geschäftsführer. Vor die Kunden. Denn ich wollte meine Ideen unbedingt mitteilen und meine Meinung vertreten.
In Präsentationen glänzen
Ich erinnere mich z.B. gut an die Event-Agentur, die ich damals aufgebaut habe. Was haben wir für coole Konzeptionen entwickelt. Welch eine Freude war es, diese beim Kunden zu präsentieren. Die Möglichkeit, nicht anzukommen, zog ich gar nicht in Betracht und sie ist auch praktisch nie vorgekommen. Ich war so enthusiastisch, ich stand so hinter der Idee, ich war so authentisch. Ich war in meinem Element.
Und dann, kurz vor dem Tag des Events, -zig Mitarbeitern zu erklären, was sie an diesem einen Tag zu tun hatten, worauf es ankam, dafür zu sorgen, dass der Funke übersprang, dass sie bereit waren, ihr Bestes zu geben – ich habe diese Meetings mit bis zu 100 Leuten geliebt.
Wenn die Ideen nicht mehr deine eigenen sind
Mit den Jahren habe ich mich beruflich immer weiter von meinen natürlichen Stärken weg entwickelt. Ohne es zu bemerken, bin ich immer häufiger in Rollen geschlüpft, die mir nicht mehr wie auf den Leib geschneidert waren. Es ging nicht mehr alles natürlich und leicht von der Hand. Ich konnte immer häufiger nicht mehr meine eigenen Ideen verwirklichen und meine eigene Meinung vertreten.
Ich bin in die „Corporate Welt“ geraten. Das wollte ich so. Materielle Erfolge und Status spielten eine immer größere Rolle für mich und waren wichtigere Entscheidungskriterien in meiner Karriere als persönliche Neigungen und Leidenschaften.
Die eigene Meinung auf der Bühne vertreten
Und so kam ich in ein Umfeld, wo es nicht immer angebracht ist, die eigene Meinung zu sagen. Ein Umfeld, in dem es nicht immer darum geht, der Sache bestmöglich zu dienen. Wo Politik ins Spiel kommt.
Und auf einmal musst du aufpassen, was du sagst. Aufpassen, wie du es sagst. Du musst die Regeln befolgen. Es gab Zeiten, in denen ich mich mehr damit beschäftigt habe, ja nix falsches zu sagen, als mit den tatsächlichen Inhalten.
Und das war einfach sowas von gegen meine Natur! Das war so derart außerhalb meiner Authentizität und meines Wesens, dass ich mich völlig verbiegen musste.
Für Menschen, denen das leicht fällt, die die Fähigkeit haben, sich auf Glatteis sicher zu bewegen, ist das vermutlich nicht so heikel. Für mich war es furchtbar anstrengend. Ich habe schon fast eine Paranoia entwickelt.
Woher kommt die Verunsicherung auf der Bühne?
Ich möchte behaupten, dass ich ein sehr gutes Gefühl für Situationen habe. Ich spüre sehr genau, was im Umgang mit Menschen ok ist und wo die Gefahr besteht, eine Grenze zu überschreiten.
Aber stelle dir vor, dass dieses natürliche Gefühl komplett überlagert wird durch Regeln, die vom Verstand aufgestellt werden. Dann funktioniert das Gefühl nicht mehr. Du spürst nicht mehr auf natürliche Weise, ob das was du tust, gut ist.
Das führt zu einer riesengroßen Verunsicherung. Es ist tatsächlich so, als wenn du auf Glatteis gehst. Und überall lauern Fettnäpfe. Oder sogar Tretminen. Mit dieser Unsicherheit zu präsentieren, dich vor ein Publikum zu stellen, das ist Horror. Für mich jedenfalls.
Was mag das Publikum denken?
Du bist andauernd mit deiner Wirkung auf die anderen beschäftigt, anstatt mit dem eigentlich Wichtigen, nämlich den Inhalten und dass diese vom Publikum verstanden werden.
Wie komme ich an? Was denken die jetzt? Kann ich das sagen oder lass ich es lieber weg? Und im Nachhinein: Habe ich alles richtig gesagt? Habe ich vielleicht an der einen Stelle zu viel preisgegeben? Bin ich jemandem zu nahe getreten? Das hat mich komplett verrückt gemacht.
Kenne dein Thema und steh’ dahinter
Das Ganze potenziert sich, wenn die Inhalte nicht deine sind. Wenn du etwas präsentierst, hinter dem du nicht stehst. Oder etwas, mit dem du dich nicht auskennst.
Ich bin heute froh, dass ich meine eigenen Themen vertreten darf. Und dass ich mich zurück erinnert habe an meine Kindheit: Du warst doch eine richtige kleine „Rampensau“ damals. Wo ist die denn hingekommen? Unter den heutigen, aktuellen Umständen müsste es doch möglich sein, die „Kleine“ aus dem Backstage-Schatten wieder ins Rampenlicht zu locken.
Ich hab’s ausprobiert. Und Recht behalten: Es hat sich bestätigt, dass es vor allem diese beiden Punkte sind, die mich Jahrzehntelang die Bühne haben vermeiden lassen.
- Es waren nicht meine Themen.
- Ich konnte nicht Ich sein und habe mir dauernd Sorgen gemacht, ob ich alles richtig mache.
Das ganze Leben ist eine Bühne
Wenn du etwas erreichen willst, musst du sichtbar werden. Im Kleinen wie im Großen, vor 10 oder Tausenden. Aber das ist einfach und das macht Spaß. Wenn du tust, was dir wichtig ist. Dann wird es völlig zweitrangig für dich, was andere über dich denken. Und das macht unglaublich frei.
Was ist es, was du unbedingt in die Welt bringen willst?
Meine besten Tipps für die Vorbereitung deiner Rede findest du hier.
Photo by Sabine Votteler