Vor einiger Zeit hatte ich eine Kundin, die sich bei einer Sache so richtig in Rage reden konnte:
Überall wird darüber gesprochen, dass Mitarbeitende überlastet und ausgebrannt sind, dass sie mehr Anerkennung und Wertschätzung, mehr Pausen und Freiräume brauchen, dass Führungskräfte empathischer und rücksichtsvoller sein müssen. Was mit den Chefs ist, interessiert niemanden! Welches Arbeitspensum sie stemmen, welche Verantwortung sie tragen, mit welchen Problemen sie nachts wach liegen.
„Führungskräfte erkennen oft nicht, wann sie überlastet sind“ titelte ein Artikel am 22.09.24 in der FAZ, in dem ich zu diesem Thema interviewt wurde. Ich bekam so unglaublich viel Zustimmung darauf, weil Menschen ihre eigene Situation wiedererkannten, dass ich mir dachte, ich muss das Thema im Podcast aufgreifen.
Hier ist es!
Diejenigen, die die Wut packt sind schon ein bisschen weiter im Prozess. Sie wollen das Spiel nicht mehr spielen. Sie wehren sich. Doch Achtung: Aggressivität kommt oft, weil man selbst nichts ändern und wirklich nicht mehr kann. Und ist ein typischer Vorbote eines Burnouts.
Aber die meisten High Performer sagen selbst dann noch:
Ich mache es ja gerne. Ich bin sehr ehrgeizig. Ich mag es, Herausforderungen zu meistern und ambitionierte Ziele zu erreichen.
Was sie nicht sagen – und worüber sie sich oft selbst nicht klar sind: Sie definieren ihren Selbstwert über Leistung. Nach dem Motto: Wer viel leistet, ist viel wert. Und wer Ziele erreicht, bekommt Anerkennung. Weil: Er hat es „verdient“.
Überlastet und ausgebrannt, ohne es zu realisieren
Viele Menschen, die verantwortungs- und leistungsbereit sind, schaffen es nicht mehr, Grenzen zu ziehen.
Die Schmerzgrenze verschiebt sich und rutscht immer höher. Man glaubt, es geht bald nicht mehr, aber dann…
a bissl was geht immer noch.
Hier geht’s zur Video-Episode:
Außerdem will man nicht zugeben, dass man am Limit ist. Anderen gegenüber auf keinen Fall. Aber auch man selbst hält sich für „unkaputtbar“ und macht sich damit etwas vor.
Ich pack das schon. Ging bisher ja auch immer. Man definiert sich selbst als die Starke, den Starken, den Unbesiegbaren, den so schnell nix umwirft.
Dieser grenzenlose Leistungswille ist nicht gesund. Wer so drauf ist, zieht gerne immer noch mehr Aufgaben an. Dem legt man auch gerne noch ein Projekt auf den Tisch, weil man ja weiß, er macht es.
Und ja, in manchen Unternehmen gehört es immer noch zum guten Ton, viele Stunden zu arbeiten. Erst neulich erzählte mir jemand wieder, dass Meetings bewusst über die Mittagszeit gelegt würden und jemand anderes, dass ein Workshop abends bis fast Mitternacht anberaumt wurde und man sich dafür auch noch feierte.
Verrückterweise fühlen diese Menschen sich auch noch gut dabei. Sie fühlen sich anerkannt. Und sie setzen alles daran, um die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen oder – besser noch – zu übertreffen.
Nicht abliefern? Kommt nicht in Frage.
Es ist kein Zufall, dass man in Führungsetagen solche Menschen findet. Denn wie heißt es so schön – und das passt 100 % zu deren Einstellung: Von nichts kommt nichts. Sie haben es zu etwas gebracht, gerade weil sie so leistungsfähig und leidensfähig sind.
Wenn Leistung zur Sucht wird, kommst du so schnell nicht mehr davon los
Ich nenne das manchmal Leistungssucht. Arbeitssucht oder Workaholism kann man auch sagen.
Leistung wird zur Droge. Und wie bei einer Droge macht der Trip high, doch das hält nur kurze Zeit an. Nach dem Trip kommt der Absturz. Ein neuer Schuss muss her. Die Dosis muss ständig erhöht werden, damit sie noch kickt. Und wenn du sie nicht bekommst, also wenn du nicht arbeiten kannst, wirst du nervös: Entzugserscheinungen.
Leistung als Selbstzweck? Nein. Leistung für Anerkennung.
Ein super Motor. Einerseits.
Aber wenn du in der Spirale mal drin bist, schwer wieder rauszukommen. Es gibt keine Grenzen mehr.
Dann ist es wichtig, die Hintergründe zu verstehen.
Hintergründe für ungesunde Leistungsbereitschaft erkennen
Warum macht man das? Bis zu einem gewissen Grad findet man es gut. Bis dahin fühlt man sich noch nicht überlastet und ausgebrannt. Aber warum macht man selbst dann noch weiter, häufig bis zum Knock-out?
Ich frage meine Kunden: Was hast du davon? Was gibt dir das?
Meistens geht es dabei um Selbstwert. Gerade bei Personen, die viel leisten, trifft man das oft an. Sie definieren sich über den Job und das, was sie dort leisten. Sie koppeln ihren Wert an diese Leistung, und damit kann es natürlich nie genug sein. Je mehr sie schaffen, desto mehr sind sie wert.
Und wenn dann der Job wegbricht, wird es für diese Personen besonders schlimm. Denn wer ist man dann eigentlich noch?
Wer nur Leistung für sich gelten lässt, der erkauft sich meist Anerkennung damit. Häufig handelt es sich dabei um ein Muster, eine Prägung aus der Kindheit. Die meisten wollten damit einem Elternteil gefallen. Lob, gesehen werden, Liebe. So war das übrigens auch bei mir.
Hilfe, wenn man sich überlastet und ausgebrannt fühlt
Was tun? Kommt drauf an, wie schlimm es ist.
Wenn du schon unter Magenproblemen, Schlaflosigkeit, Versagensängste, Konzentrationsschwierigkeiten, Aggressivität und anderen typischen Burnout-Anzeichen leidest, geh‘ bitte zum Arzt. Das wirst du wahrscheinlich sehr uncool und schwach finden. Da hilft ein Perspektivenwechsel: Es ist nicht Schwäche, sondern zeugt von Stärke, sich das einzugestehen und von Verantwortungsbewusstsein – sich selbst und der Firma gegenüber.
Ich halte viel von Psychotherapie, aber nicht so viel davon, zum Beispiel nach einer Zeit im Krankenstand wegen eines Burnouts etwa, in die gleiche Firma, vielleicht den gleichen Job zurückzukehren. Da sollte man eben nicht nur die Psyche stärken, sondern auch nachhaltig schauen, was man am Job ändern sollte.
Deshalb ist es wichtig, dich selbst kennen zu lernen, und das endet nicht beim Hinterfragen und Heilen deiner Leistungssucht. Damit ändert sich am Job nichts. Und vermutlich passt der halt auch nicht mehr.
Die meisten wissen gar nicht (mehr), was sie gut können, was sie gerne machen und was sie wollen. Da hilft ein Blick in die Vergangenheit und deine damaligen Vorlieben. Was kannst du daraus ableiten und lernen? Was ist zum Beispiel deine „Road not taken“?
Neben der „Innenschau“ und Reflektion solltest du unbedingt neue Dinge ausprobieren. Dabei ist es völlig egal, was. Das einzig Wichtige daran ist, neue Leute kennen zu lernen, neue Dinge zu erleben, neue Umgebungen zu sehen, neue Perspektiven einnehmen zu können und den Horizont zu erweitern.
Überlastet und ausgebrannt – wie Abstand im Alltag hilft
Ansonsten empfehle ich kleine Auszeiten. Die sind super geeignet, um Neues zu testen. Nimm dir im Alltag die Zeit und das Recht für kleine Pausen. Mein Lieblingsbeispiel ist der Friseurbesuch an einem Mittwochnachmittag, den du sonst nur abends um 19:00 Uhr oder am Wochenende einplanen kannst.
Es ist im Grunde eine lächerliche Lappalie und SO ein riesen Schritt aus der Komfortzone. Und bitte nimm keine Arbeit mit, sondern lies irgendwelche Belanglosigkeiten in einer Klatschzeitschrift. Hab dabei kein schlechtes Gewissen, sondern sei stolz darauf, dass du die Zeit einfach mal so sinnlos und nicht zielführend verbracht hast.
Zeitverschwendung? Denkst du!
Stimmt aber nicht, weil du allein bei so einem Mini-Experiment Dinge spürst, die neu sein werden. „Oh, das war ja eigentlich mal ganz schön.“ „Oh, erstaunlich, wer Mittwoch nachmittags so alles beim Friseur ist.“ „Oh, die Firma steht nach den zwei Stunden meiner Abwesenheit ja tatsächlich noch.“ 😉
Keine Frage: Das ist alles nicht einfach. Ich kenne es aus eigener Erfahrung. Wie kann man zu, Friseur, wenn der Terminkalender sowieso schon ständig doppelt belegt ist??
Das ist auch keine Frage der Planung oder des Zeitmanagements. Sämtliche Methoden dieser Welt werden dir an der Stelle nicht helfen. Das ist eine Sache der Abgrenzung. Und das ist ein innerer Prozess.
Den Prozess kann man nicht abkürzen, aber unterstützen und dafür sorgen, dass er in Gang kommt, wenn du das Gefühl hast, es sei aussichtslos. Du seist gefangen in deinem eigenen Hamsterrad.
Ab 30.10.24 starte ich wieder den 8-wöchigen Workshop, in dem es genau um diesen Prozess geht. Ich leite eine kleine Gruppe von „Managern in Transition“ an, herauszufinden, wer sie wirklich sind und welche Möglichkeiten sie wirklich haben.
Wenn du das auch entdecken willst, dann schau dir das hier an.: https://sabinevotteler.com/managers-in-transition
Oder, wenn dir Diskretion wichtig ist, ist auch Einzel-Mentoring möglich.
Vereinbare dazu am besten ein Erstgespräch hier: https://sabinevotteler.youcanbook.me
Wenn dich der Artikel in der FAZ interessiert, findest du ihn hier: